„Unsere Tage zu zählen lehre uns, dann gewinnen wir ein weises Herz.“ (Ps. 90,12)
…Ist es eher nicht so, dass wir – sobald unser Lebensgenuss durch Leid überschattet wird – in Verzweiflung verfallen, die uns Schritt für Schritt an den Abgrund der Sinnlosigkeit führt? Die angebliche Absurdität des Lebens schleicht sich in unsere Denkweise still ein und verwandelt sie in eine ‚Kohelet-Mentalität‘: Windhauch, Windhauch, alles ist Windhauch! Diese wiederum scheint uns düster und trüb. Das Bewusstsein von Vergänglichkeit, sowie die zutiefst in uns liegende Angst vor dem ‚Nicht (mehr) sein‘ werden oft zur Hauptkonstruktion einer depressiven (Lebens-)Haltung. Doch der Psalmist scheint anderer Meinung zu sein. Ist es bloß seine M-e-i-n-ung oder seine E-r-fahrung?
Auch der Hl. Benedikt weist in seiner Regel darauf hin, dass der Mönch täglich den unberechenbaren Tod vor Augen haben soll (RB 4) und zwar nicht um auf sein Leben ‚Schatten der Furcht‘ zu werfen, sondern, um vor ihm die Perspektive des ewigen Lebens (d.h. der Fülle des Lebens, die wir in Christus bereits empfangen haben) breit zu öffnen. Sobald wir diese Perspektive mehr und mehr gewinnen, gewinnen wir ein weises Herz und die Todesangst lässt nach und nach…
(…)
Die Erden-Wiege
schaukelt mich sanft,
während Tod und Leben
ihre herzzerreißend-schönen Lieder
liebevoll über mir
singen.
So zieht es mich nach beiden Seiten, denn
beiden lieben mich in gleicher Weise,
ich beginne zu ahnen,
vielleicht
gehören sie zusammen?
Von wem soll ich dann Abschied nehmen?
Ohne zu leben, kann ich nicht sterben
und ohne zu sterben, nicht leben.
Lasst bitte mein Grab offen,
verschüttet die Quelle nicht!
Denn aus ihr sprudelt das Leben,
wie aus dem Dunkeln
das Licht.
(R.K)