Manchmal in unserem Leben treffen wir Entscheidungen, die nicht der Handlung der Liebe entsprechen, sondern dem Einhalten von Gesetzen. Gesetze, Gebote und Regeln sind wichtig, da sie Ordnung geben; besonders für ein gemeinsames Leben (in der Familie, wie im gottgeweihten Leben) – hätten wir sie nicht, müssten wir täglich vieles neu strukturieren, erschaffen, entscheiden, klären, regeln. Man sagt: „Friede ist die Ruhe der Ordnung“. Bei einem Gesetz kennt man sich aus: es gibt eine klare Form und Richtung vor, nach der es zu streben gilt. Doch ein Gesetz, Gebot, eine Regel, kann uns Menschen auch dazu verleiten, blind zu werden für die Art, wie wir es erfüllen.Man gewöhnt sich sehr schnell daran, ein Gesetz einzuhalten und dadurch schalten wir oft zu schnell unseren Verstand ab und lassen uns durch das Gesetz tragen. Wir fragen nicht mehr, wozu es gut ist, was dahinter steht, ob wir es überhaupt noch verstehen – Hauptsache, wir erfüllen es.

Auch im Glaubensleben geht es uns manchmal so: Wir kennen die Gebote, die Regeln, die Fundamente, wir wissen, wo’s lang geht und was zu tun ist. Sie sind uns immer im Kopf und wir versuchen manchmal fast perfektionistisch, sie zu erfüllen, um näher zu Gott zu gelangen, um etwas zu schaffen. Wie bei einem Hürdenlauf freuen wir uns, wenn wir wieder einen Sprung geschafft haben. Nicht selten ist uns die Einhaltung eines Gesetzes so wichtig, weil wir das Lob eines Menschen erwarten, weil wir einem Menschen gefallen wollen (auch wenn wir das oft nicht zugeben). Wir sind in unserer Gesellschaft vom Leistungsstreben geprägt.

Paulus tadelte Petrus in Gegenwart aller, er sagte:

„… wir haben erkannt, dass der Mensch nicht durch Werke des Gesetzes gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus (…) durch Werke des Gesetzes wird niemand gerecht (…) Ich mißachte die Gnade Gottes in keinster Weise; denn käme die Gerechtigkeit durch das Gesetz, so wäre Christus vergeblich gestorben.“ (Gal 2,16. 21)

Kurz gesagt: jede Einhaltung des Gesetzes ohne die Liebe ist im Grunde zu nichts gut.

Die Erfüllung des Gesetzes ist die Liebe!  (Röm 13,8)

Und hier knüpft die Erzählung über die Hl. Scholastika und den Hl. Benedikt an. Der Tradition nach gelten sie als leibliche Geschwister – doch vielleicht waren sie das viel mehr im geistlichen Sinne – Bruder und Schwester IN Christus. Papst Gregor der Große (+ 604) erzählt in seinem 2. Buch der Dialoge über die jährlich stattfindende Begegnung der beiden gottgeweihten Geschwister in einem Gut des Klosters am Fuße des Montecassino, wo Benedikt mit seiner Mönchsgemeinschaft lebte.

Er schreibt:

„Sie verbrachten den ganzen Tag im Lob Gottes und im geistlichen Gespräch. Bei Einbruch der Dunkelheit hielten sie miteinander Mahl. Während sie noch am Tisch saßen und ihr geistliches Gespräch fortsetzten, wurde es spät. Da flehte die gottgeweihte Frau, seine Schwester, ihn an: „Ich bitte dich, lass mich diese Nacht nicht allein, damit wir noch bis zum Morgen von den Freuden des himmlischen Lebens sprechen können.“

Er (Benedikt) antwortete ihr:

„Was sagst du da, Schwester? Ich kann auf keinen Fall außerhalb des Klosters bleiben“.

Benedikt sieht in diesem Moment nur die Einhaltung des Gesetzes; der Regel, dass er nicht über Nacht außerhalb des Klosters bleiben darf. Eines hatte er dabei übersehen: das Herz seiner Schwester. Als Scholastika die Weigerung Benedikts hört, erkennt sie eines: das ihr Bruder in diesem Moment sein Herz vor der Liebe – die höher ist als das Gesetz – verschlossen hatte. Scholastika schmerzte dies so sehr, dass sie ihre Hände und ihr Haupt auf den Tisch legte und unter Strömen von Tränen, die auf den Tisch flossen, zu beten begann. Es war nicht ihr Wille, die geistlichen Gespräche um ihretwillen fortzuführen. Aber es war ihr Wunsch, dass ihr Bruder nicht am Gesetz hängen bleiben würde. Sie weinte aus Liebe um das Wohl ihres Bruders. In diesem Moment begann es aus heiterem Himmel in Strömen zu Regnen und ein Gewitter zog auf. Benedikt war sichtlich erschrocken und sagte zu ihr: „Der allmächtige Gott vergebe dir, Schwester! Was hast du da getan?“. Sie erwiderte ihm: „Sieh, ich habe dich gebeten, und du hast mich nicht erhört. Da habe ich meinen Herrn gebeten und er hat mich erhört.“ Anstatt ihm zu sagen: „siehst du, Gott ist auf meiner Seite“, spricht sie weiter: „Geh nur, wenn du kannst! Verlasse mich und kehre zum Kloster zurück!“ – ihr war klar, dass er nicht konnte. Sie half ihrem Bruder dadurch, den Willen Gottes selbst zu erkennen, ohne ihm dies vorweg zu nehmen.

Benedikt blieb gegen seinen Willen bei ihr.

„So konnten sie die ganze Nacht durchwachen, in heiligen Gesprächen ihre Erfahrungen über das geistliche Leben austauschen und sich gegenseitig stärken.“

Benedikt hatte etwas gewollt und es nicht vermocht. Scholastika vermochte in diesem Augenblick mehr als er, weil sie mehr liebte.

Drei Tage später starb Scholastika. Benedikt sah in einer Vision ihre Seele in Gestalt einer Taube zum Himmel aufsteigen. Es musste für ihn wie eine Art „Bestätigung“ gewesen sein, mit der Gott ihm gezeigt hat, dass es wichtiger ist, in einer konkreten Situation auf das Wohl seines Nächsten zu schauen, auch wenn es ein „äußerliches“ Gesetz bricht. Es ist genau das, was Christus getan hat. Er stellte die Liebe über jegliches Gesetz. Benedikt lies seine Schwester Scholastika in das selbe Grab legen, das er für sich vorbereitet hatte. „Selbst das Grab konnte ihre Leiber nicht trennen, war doch ihr Geist immer in Gott eins gewesen“.

Gehen wir den Weg der Liebe – es ist ein Weg der niemals endet, den wir unser Leben lang täglich neu entedecken und wählen müssen. Petrus, Jakobus und Johannes waren bei Jesus auf dem Ölberg eingeschlafen, aber er hat gesagt: „wacht…“. Sie mussten neu beginnen. Petrus hat Jesus verleugnet; er musste neu die Liebe erfahren und suchen. Christus ist auf seinem Kreuzweg drei Mal gefallen, aber er ist jedes Mal wieder aufgestanden – weil er ein Ziel hatte: den Willen seines Vaters – und das ist SEINE LIEBE für jeden einzelnen Menschen – zu erfüllen.

Es ist der Weg, von dem Paulus sagt, dass er alles übersteigt. (1 Kor 13,1-13)

„… wenn ich in den Sprachen der Engel und Menschen redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke.
Und wenn ich prophetisch reden könnte und alle Geheimnisse wüsste, und alle Erkenntnis hätte, wenn ich alle Glaubenskraft besäße und Berge damit versetzen könnte, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich nichts.
Und wenn ich meine ganze Habe dem Feuer übergäbe, hätte aber die Liebe nicht, nützte es mir nichts…“

Suchen wir die Liebe!